20/10/2014

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Das perfekte Klassenzimmer

Von Katharina Leitner

20/10/2014

Klassenzimmer, Schule

Kahle Wände, beschmierte Tische, unbequeme Sessel, beengter, ungedämmter Raum… So sahen die Klassenräume der HS/NMS Preding in der Südsteiermark, ca. 30 Kilometer südlich der österreichischen Stadt Graz, vor 4 Monaten noch aus. „Eine solche Grundlautstärke habe ich in einer Schule noch nie erlebt“, so der Bauleiter des bevorstehenden Umbaus. Das Bauunternehmen hat sich auf Schulen spezialisiert und hat in den Sommerferien die 40 Jahre alte Schule komplett renoviert. Die kurze Bauzeit war eine große Herausforderung, doch auf den Tag genau wurden die Arbeiten fertiggestellt. 5,5 Millionen Euro hat die Generalsanierung gekostet, in Zukunft steht den Schülern eine Lernumgebung auf dem neuesten Stand zur Verfügung

Bei der Eröffnungsfeier Anfang September hatte ich die Gelegenheit ergriffen, mit dem Bau- und Lernraumdesign-Team zu sprechen. Bauleiter war DI Christian Pustnik, Architekt bei h2 – Architektur und Bauwesen. Er ist Spezialist im Bereich Schulmodernisierung.

Worauf muss bei der Gestaltung eines Klassenzimmers geachtet werden? Wie fühlen sich SchülerInnen und Lehrkräfte wohl?

DI Pustnik beanstandet, dass generell zu wenig Wert auf den Zustand von Schulen gelegt wird. Eine Modernisierung und Sanierung alter Schulen ist wichtig für einen geregelten, modernen und erfolgreichen Unterricht. Bei der Gestaltung von Klassenzimmern werden heute noch immer hauptsächlich die Bedürfnisse der Lehrkräfte berücksichtigt – ein Schüler-gerechtes Design findet kaum Anwendung.

Mein Eindruck ist, dass ein Wandel bzw. ein Umdenken in der Bildung meist ein langer, steiniger Weg ist, da bis heute auf althergebrachte Traditionen und Methoden blind vertraut wird. Das moderne Lernen muss jedoch mit adaptierten Methoden und technischen Lehrmitteln, wie Tablets oder Whiteboards unterstütz werden. Büttner, Diplomhandelslehrer an der Staatlichen Wirtschaftsschule Nürnberg und Autor des Ratgebers „Der Einsatz und die Förderung von Lerntechniken und Lernstrategien in der beruflichen Schule“[1] empfiehlt die Anpassung der  Klassenzimmer bzw. der Lernumgebung für neue Lerntechniken und Lehrmethoden.

Sitzordnung: In Reihen, im Halbkreis, in Arbeitsgruppen?

In den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts gründete der wegweisende italienische Lehrer und Psychologe Loris Malaguzzi[2] die Reggio-Pädagogik auf den Grundsatz, dass Kinder sich durch Interaktion entwickeln. Die entscheidende Rolle spielen dabei in erster Linie die Erwachsenen in ihrem Leben – Eltern und Lehrer – zweitens die Gleichaltrigen und drittens auch die ganze räumliche Umgebung. Dieser Raum, so Malaguzzi, ist der dritte Lehrer.

Dr. Axel Haberer empfiehlt in „Der dritte Lehrer Einrichtungskonzepte für Lernräume der Zukunft“[3] eine offene Lernlandschaft. Um einen abwechslungsreichen Unterricht zu garantieren, sollten die Tische und Sessel leicht zu bewegen sein. Sessel sollten von den Tischen getrennt sein, damit auch mal ein Sesselkreis gemacht werden kann. So kann die Tisch- und Sitzordnung der Tätigkeit entsprechend angepasst werden. Am Boden fixierte Tische stellten sich als grundlegendes No-Go! dar!

Sind die Tische in Reihen angeordnet, steigt die Aufmerksamkeit der SchülerInnen und Frontal-Unterricht bzw. Erklärungen werden am besten aufgenommen. Das Negative dabei ist, dass SchülerInnen der ersten Reihe deren Klassenkammeraden nicht sehen und jene in den hinteren Reihen nur die Hinterköpfe deren Kammeraden sehen. Kommunikation innerhalb der Klasse ist somit weitgehend unmöglich.

Ist Interaktivität für den Unterricht fundamental? Dann ist ein Halbkreis ideal. Auch Tischgruppen werden hier gerne verwendet, wobei die Aufmerksamkeit bei Erklärungen der Lehrkraft dramatisch sinkt. Für die soziale Interkation und ein offenes, interaktives Lernen sind beide Varianten bestens geeignet.

Higgins et al[4] empfiehlt bereits 2005, also vor 10 Jahren (denken Sie mal dran wie alt ein KFZ mit 10 Jahren heute ist), das Unterteilen eines Klassenzimmers in Instruktionsbereich und Gruppenarbeitsbereich, am besten mit verschiedenfärbigen Teppichen bzw. anderen Bodenmarkierungen. Somit ist für die SchülerInnen von vorhinein klar, wie sie sich in den verschiedenen Bereich zu verhalten haben (ruhig und aufmerksam im Instruktionsbereich, interaktiv im Gruppenarbeitsbereich). Kennen Sie eine Schule in der das umgesetzt wurde?

Licht, Wände, Design

Zu wenig Licht und kleine Fenster stärken die Entwicklung von Depressionen. Daher ist eine entsprechende Lichtdurchflutung von Unterrichtsräumen ein Muss, wobei gleichzeitig für eine adäquate Abdunkelungsmöglichkeit gesorgt sein muss, damit visuelle Medien genutzt werden können.

SchülerInnen wie Lehrkräfte verbringen einen großen Teil ihres Lebens in Klassenzimmern. Trotzdem fühlen sie sich noch immer in den meisten Klassen unwohl. Wohlbehagen hingegen macht das Lernen leichter, sagen Dr. Elke Frenzel (Dipl. Biologin) und Dipl. Ing. Peter Schraml (Architekt) in ihrer Publikation „Das Lernfördernde Klassenzimmer“[5].

Warme Farben, persönliche Dinge, Mitgestaltungsmöglichkeit – darauf muss geachtet werden.
Wenn Sie nun als Lehrkraft mit den Gegebenheiten zurecht kommen müssen, dann adaptieren Sie die Klassenräume so gut als möglich. Lassen Sie zum Bespiel die SchülerInnen bei der „Umgestaltung“ mitwirken, oder motivieren Sie sie zum Mitbringen von persönlichen Fotos, gestalten Sie Poster, Wandcollagen, oder betreiben Sie Fotowände, Hitlisten der aktuellsten Facebook oder Twitter Post etc. – natürlich solange sie dem Unterricht und den Lernfortschritt begünstigen..

Tipp: Setzen Sie sich als LehrerIn an jeden Schülertisch und analysieren Sie Ihren Ausblick. Was stört und kann beseitigt werden? Was fehlt?

Unumgänglich ist die richtige Schalldämmung im Schulhaus. Lärm muss so weit wie möglich reduziert werden, denn er ist für alle Beteiligten schädlich, fördert Burnouts und mindert die Konzentrationsfähigkeit! Eine Studie des Psychologischen Instituts der Universitat Graz mit dem Umwelt-Bildungs-Zentrum hat in vorerst 14 ausgewählten Volksschulen sowohl die akustische Bedingungen als auch das Hörvermögen der Lehrenden und deren subjektives Lärmempfinden erhoben. Der in den Klassen gemessene Schalldruckpegel betrug im Mittel 68 Dezibel. „Das ist deutlich höher als der vorgeschriebene Grenzwert für ‚überwiegend geistige Tätigkeiten‘ von 50 Dezibel“, sagte der Grazer Psychologe Marc Andre Günther, Leiter der Studie. Auch die Nachhallzeiten liegen bei mehr als einem Drittel der getesteten Volksschulklassen über dem Toleranzbereich. Ein einfaches Hilfmittel ist das anbringen von Schaumstoffrollen an der Decke.

Nach den Erkenntnissen der Experten am Umbau der HS/NMS Preding und meinen Recherchen die dieses Thema betreffen ziehe ich folgendes Resümee:

  • Klassenzimmer 2.0

Elektronik ist vom Klassenzimmer nicht mehr wegzudenken. Projektoren haben ausgedient – Laptop, Beamer und Co. zählen zur Standardausstattung. Oftmals werden Computer und Tablet schon gegen Buch und Stift sowie die Schultafel gegen das moderne Whiteboard ausgetauscht.

Generell sollten die Computer einen eigenen Platz bekommen, weg von Instruktionsbereichen, denn Elektronik lenkt schnell ab. Kabel und Anschlüsse sollten verdeckt werden, um Ruhe und Ordnung im Raum zu schaffen.

  • Der Lehrertisch

Viele LehrerInnen benötigen keinen Lehrertisch mehr und sehen ihn als physische Barriere zwischen Lehrkraft und SchülerInnen. Jetzt, wo ich diesen Artikel schreibe, erinnere ich mich daran, dass ich in meiner Schulzeit den Lehrertisch (Katheder) störend empfand, wie ein Altar in einer dunklen Höhle… Zum Glück der SchülerInnen ändert sich das immer mehr, denn LehrerInnen verwenden einen Schülertisch zur Ablage um Gleichberechtigung zu zeigen. Bei interaktiven Übungen sollten sich LehrerInnen ohnehin zur Gruppe dazusetzen.

Wer dennoch einen Tisch, auch für Stauraum, benötigt sollte ihn an der Wand bzw. in einer Ecke platzieren, damit er so wenig Raum als möglich einnimmt. Trotzdem muss er leicht erreichbar sein – auch für SchülerInnen, wenn Sie mit der Lehrkraft in persönlichen Kontakt treten sollen/müssen.

Zusammengefasst sollten Sie bei der Gestaltung eines Klassenzimmers Folgendes beachten:

  1. Die physische Beschaffenheit des Klassenraums beeinflusst das soziale Verhalten der SchülerInnen wie auch deren Lernverhalten
  2. Die Gestaltung des Klassenzimmers muss den Zielen des Unterrichts entsprechen – also sowohl den natürlichen Austausch zwischen SchülerInenn wie auch den notwendigen Lehrer-Schüler-Instruktionssituationen gerecht werden
  3. Das Alter der SchülerInnen und die Größe der Gruppe beeinfluss die Gestaltung: Größe der Tische/Sessel, Verstauungsmöglichkeiten, Größe des Zimmers,
  4. Die Sitzordnung und Aufteilung des Raums spielt eine sehr wichtige Rolle
  5. Die SchülerInnen in der Gestaltung der Lernumgebung miteinzubeziehen wirkt sich positiv auf das Zugehörigkeitsgefühl aus und stärkt Selbstvertrauen, Motivation sich einzubringen und Erfolgserlebnisse.

Mit der Unterstützung des erfahrenen Bauleiters wurden die dargestellten Tipps in der neu sanierten HS/NMS Preding so gut es ging umgesetzt. Eine solch große Modernisierung und Sanierung ist natürlich mit hohen Kosten verbunden, doch SchülerInnen wie auch Lehrkräfte können nun endlich aufatmen. „Die SchülerInnen haben am Eröffnungstag mit großen Augen die neue Schule erkundet und fühlen sich sichtlich wohl. Die Klassenzimmer sind allgemein größer, durch den Einsatz von Farben sehr gemütlich und Dank der neuen Fenster und schalldämmenden Maßnahmen hörbar leiser. Das Arbeiten und Lernen macht allen wieder mehr Spaß“, so Elisabeth Leitner, Lehrkraft und Lerndesignerin der HS/NMS Preding.

Und jetzt möchte ich ein Geheimnis lüften: Zu dieser Schule bin auch ich gegangen und heute hatte ich das erste mal das Gefühl, dass ich gerne nochmal dort zur Schule gehen möchte – aber nur in die moderne, neue Schule 😉

In diesem Sinne wünsche ich den SchülerInnen sowie dem Lehrpersonal der HS/NMS Preding erfolgreiche weitere 40 Jahre!


ELTERN – Achtung!

Nicht nur die Gestaltung des Klassenzimmers ist für das Wohlbefinden und den Lernerfolg eines Schülers/einer Schülerin wichtig, sondern auch die Lernumgebung zu Hause! Dort gelten die selben Gestaltungsregeln. Am wichtigsten ist dabei der Schreibtisch.

Tipp: Während dem Lernen Musik zu hören unterstützt den Lernvorgang! Die Lautstärke muss aber so gewählt werden dass sie nicht ablenkt. Am besten ist natürlich ein Radiosender in der Fremdsprache die im Unterricht gelernt wird.

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[1] Christian J. Büttner: Der Einsatz und die Förderung von Lerntechniken und Lernstrategien in der beruflichen Schule am Beispiel der Städtischen und Staatlichen Wirtschaftsschule Nürnberg. Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung. Band 6 (2011). Herausgegeben von Karl Wilbers.

[2]Siehe www.reggio-paedagogik.at

[3] siehe www.zukunftsraum-schule.de/pdf/kongress/klassenzimmer/Der_dritte_Lehrer_-_Einrichtungskonzepte_fuer_Lernraeume_der_Zukunft.pdf

[4]Higgins S, Hall E, Wall K, Woolner P and C McCaughey 2005, ‚The Impact of School Environments: A literature review‘, The Centre for Learning and Teaching, School of Education, Communication and Language Science, University of Newcastle.

[5] Siehe http://www.sichere-schule.de/klassenraum/_docs/Das_lernfoerdernde_Klassenzimmer_GUV_X_99966_2011.pdf

Katharina Leitner

Über die Autorin

Content Managerin und Bloggerin Katharina Leitner beschäftigt sich seit 2011 intensiv mit der Birkenbihl-Methode sowie den Kreativtechniken und Denktools von Vera F. Birkenbihl.

Seit 2014 arbeitet sie als selbstständige Online & Performance Marketerin: www.rucker-marketing.at

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